Heute: Tobias Diehr
Aufwand, Bürokratie, Hoffen, Bangen - der lange Weg von Tobias Diehr, seine rumänischen Erntehelfer nach Deutschland zu bringen
Corona macht alles anders. Nichts ist so wie im Vorjahr. Doch die Arbeiten von Winzer und Landwirten bleibt die gleiche. Insbesondere im Mai, Juni und Juli und später im Herbst bei der Ernte fallen bei den Winzern die meisten Arbeiten an. Hier sind sie auf Hilfe angewiesen. Alleine sind die Tätigkeiten nicht zu bewältigen.
Als die Themen „Grenzschließung“ und „Einreisestopp“ erstmals in den Medien kursierten, war für Tobias Diehr sofort klar, dass seine rumänischen Erntehelfer nicht kommen werden. Nun war guter Rat teuer. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Um die insgesamt 300.000 fehlenden Arbeitskräfte irgendwie oder auch nur teilweise aufzufangen, wurden Online-Plattformen ins Leben gerufen. Hier konnten sich Studenten oder auch Kurzarbeitende melden, um bei den Winzern und in der Landwirtschaft eingesetzt zu werden. Eine schöne Idee, so Tobias Diehr, nur waren die Freiwilligen entweder nur übers Wochenende oder lediglich auf absehbare Zeit verfügbar. Mit dieser Unsicherheit konnte der Winzer kaum planen und seine Arbeiten koordinieren.
Ein Hoffnungsschimmer - aber gerechtfertigt oder nicht?
Und dann kam die Information, dass jeweils im April und Mai 40.000 Erntehelfer nach Deutschland eingeflogen werden können. In einem Telefonat mit seinen rumänischen Hilfen, die durch ihre jahrelange Tätigkeit schon ein Teil der Winzerfamilie sind, bestätigten ihm diese, dass sie unbedingt kommen wollten. Hier ging es nicht nur um Emotionen, sondern auch um Geld. Das Einkommen, das sie hier in Deutschland jedes Jahr verdienen, ist lebensnotwendig für die gesamte Familie in Rumänien.
Was tun? Tobias Diehr überlegte mit seiner Familie sehr lange. Die Mehrkosten auf sich nehmen und die Erntehelfer nach Deutschland holen? Ist sein Betrieb überhaupt systemrelevant? Oder nicht doch eher die Obst- und Gemüsebauern? Es gab einige schlaflose Nächte, bei denen er innerlich mehrere Kämpfe ausfocht.
Letztendlich waren es dann doch die Emotionen, die die Entscheidung brachten. Tobias Diehr hatte sich dazu entschlossen, sich für seine rumänischen Erntehelfer stark zu machen und diese zu unterstützen. Dies war für ihn nun oberste Priorität.
Ämter, Formulare, technische Hürden und immer wieder die Ungewissheit
Nun galt es herauszufinden, wo man das geplante Vorhaben anmelden musste. Viele Stunden verbrachte Tobias Diehr damit, sich durch verschiedene Internetplattformen zu klicken und irgendwann an der richtigen Stelle zu landen. Mit seiner Betriebs- und Sozialversicherungsnummer konnte er sich dann endlich anmelden. Ohne zu wissen, ob alles klappen wird und die Erntehelfer tatsächlich bei ihm eintreffen werden, buchte Tobias Diehr als nächstes den Flug. Hierfür musste jedoch erst einmal geklärt werden, welcher der vier Flughäfen in Rumänien auch Flüge nach Karlsruhe anbietet. Und ob die rumänischen Helfer überhaupt die Möglichkeit haben, in ihrem Heimatland zu diesem Flughafen zu gelangen. Dann wurden die Ausweiskopien der Rumänen für die Flugbuchung benötigt. Und das Ganze musste natürlich noch beim Deutschen Bauernverband angemeldet werden. Mit Datum und Flugnummer.
In der Zwischenzeit wurde über die Betriebsnummer von Tobias Diehr geprüft, ob dieser tatsächlich systemrelevant ist. Und die ganze Bürokratie ging weiter. Der Winzer durchlief nun mehrere Ämter, um alles sicher abklären und vorbereiten zu können. Er benötigte von seinen Erntehelfern eine Einverständniserklärung für den Aufenthalt in Deutschland sowie ihre Personalnummern. Die beiden Rumänen brauchten für ihre Einreise den fertigen Arbeitsvertrag mit Unterschrift, ihre Flugtickets, einen Pendlerausweis sowie notwendige Hygienevorschriften – sowohl in deutsch als auch in rumänisch. Mit den Jahren hatte sich Tobias Diehr die rumänische Sprache ein wenig angeeignet. Aber dafür reichte es dann doch nicht ganz. Also „jagte“ der Winzer seine Hygienevorschriften durch den Google-Translator und hoffte, dass das Ergebnis auch einigermaßen dem Inhalt entsprach.
Doch damit nicht genug. Da die Rumänen in ihrem Wohnort in den Bergen keine Emails empfangen können und ihre Handys nicht pdf-tauglich sind, musste sich Tobias Diehr wieder etwas überlegen. Kurzerhand wandelte er alle Dokumente in eine Bilddatei um und schickte diese per Handy zu.
Fast ein bisschen wie Roulette-Spielen
Nun war der „Papierkram“ endlich erledigt. Jetzt kam das große Zittern, denn der rumänische Zoll war als sehr streng bekannt. Als dann ein Handy-Foto von den Erntehelfern im Wartebereich vorm Flugzeug kam, fiel Tobias Diehr ein riesiger Stein vom Herzen. Letztendlich war für den rumänischen Zoll nicht wichtig, was die beiden alles bei sich trugen, sondern ob alle Papiere vollständig vorhanden und richtig ausgefüllt sind.
Etwa zwanzig Leute standen in der Ankunftshalle des Flughafens in Karlsruhe und warteten auf das Flugzeug aus Rumänien. Immer wieder kamen einige rumänische Passagiere, wurden begrüßt und verschwanden mit ihren Abholern. Zum Schluss stand der Winzer nur noch alleine da. Mit der Frage, was schiefgelaufen sein könnte. Als dann letztendlich seine Erntehelfer doch noch auftauchten, war die Freude sehr groß.
Ende gut - alles gut
Jetzt standen zwei Wochen Quarantäne auf dem Programm. Familie Diehr hatte extra eine Ferienwohnung angemietet, wo die Rumänen direkt und ohne Kontakt zur Arbeit und wieder zurückkonnten. Die Einkäufe und alles Notwendige erledigten die Diehrs für sie. Auch ein strenger Putz-, Desinfektions- und Reinigungsplan wurde für die Ferienwohnung vorbereitet, weiterhin mit Handschuhen, Einwegtüchern etc. ausreichend bestückt. Alles behördlich vorgegeben. Hier können jederzeit Prüfungen von den Ämtern stattfinden.
Doch darüber macht sich Tobias Diehr keine Sorgen. Alles ist so geregelt, wie es sein muss. Die Rumänen selbst geben sehr darauf acht, sind sie doch überglücklich, dass letztendlich alles geklappt hat und sie für 2,5 Monate dem Winzer zur Hand gehen können.
Für Tobias Diehr ist die Geschichte doch noch gut ausgegangen. Die Zeit, Mühen und Kosten waren enorm. Aber das ist schon beinahe wieder vergessen, so der Winzer. Für ihn ist nur wichtig, dass die rumänischen Erntehelfer da sind. Ansonsten wüsste er nicht, wie er alles bewältigen sollte. Tobias Diehr ist glücklich und motiviert. Und optimistisch, was die Zukunft seines Weinbaubetriebes angeht.